MohnblütenVesna Ivkovic

Widder und die Krieger-Kraft

(Überarbeitung mehrerer Vorträge, die ich im März 2006 bei den “1.Astrologischen Filmtagen” gehalten habe)

Begegnungen mit Gewalt und Zerstörung im Kino

Immer wieder erlebe ich, wie unangenehm oder erschreckend schon allein der Begriff “Krieger-Kraft” für viele Menschen (jedenfalls in bestimmten sozialen Milieus) klingt und wie insbesondere die – obgleich im Kino nur mittelbare – Begegnung mit dieser explosiven und kämpferischen Energie des Widder-Archetyps Ablehnung auslöst und den Widerwillen, sich mit einer Bebilderung dieser Kraft zu konfrontieren.
Das ist vor dem Hintergrund unserer Schmerz, Leiden und Gewalt weitgehend verdrängenden, abwehrenden und gleichzeitig auf Nützlichkeit und Effektivität orientierten Kultur verständlich, schließlich erscheinen Aggression und Zerstörung oft vollkommen sinnlos, es sei denn, sie stehen im Dienste eines – je nach "Glaubensbekenntnis" variablen – "höheren" oder “prinzipiellen” Ziels (also in Verbindung mit Schütze oder Steinbock).

 

Der Widder-Archetyp

Widder ist das erste Zeichen des Tierkreises und als solches bedeutet der Widder-Archetyp auch die Entstehung eines Ich, eine Kraft, die sagt „ich bin“ und die ihr Sein durchsetzen will. Es ist der Widder-Archetyp, der die Bereitschaft, die Kraft und die Fähigkeit zu kämpfen mitbringt, und diese Energie – die natürlich auch mit Rücksichtslosigkeit, mit Gewalt und Egoismus zu tun hat – ist notwendig für unsere Fähigkeit zur Selbstbehauptung.

Der dem Zeichen Widder zugeordnete Planet Mars zeigt im Horoskop, wofür und wie wir unsere Kraft einsetzen, wo und wie wir aggressiv sein können, wofür und auch wie wir kämpfen.
Zweifellos ist es auch heute noch manches Mal sogar eine Frage des Überlebens – für die meisten von uns kaum je auf physischer, oft genug aber auf psychischer oder anderer Ebene –, ob wir diese Kraft in uns mobilisieren können.

Weitere Schlagworte, die den Widder-Archetyp beschreiben sind: Direktheit, Grobheit oder Rohheit – zur Achse Widder-Waage (diese Zeichen liegen sich im Tierkreis gegenüber und entsprechen damit den zwei Polen desselben Themas) fällt mir immer der für die Zivilisationstheorie von Claude Levi-Strauss eingeführte Gegensatz vom „Rohen” und “Gekochten“ ein, also der Dualismus von noch nicht Kultiviertem und der durch geistige Konstrukte gezähmten Wildheit. Widder entspricht auch Angriffslust, Risikobereitschaft, Wettkampf, dem Willen der/die Erste zu sein, Pioniergeist, Eroberung, Schnelligkeit, dem Eindringen in “das Andere” bzw. Neue, Durchsetzungskraft, Eigenwille usw...

Widder in Kunst und Kino                           

Die Beschäftigung mit dem Ausdruck der Krieger-Kraft in der Kunst, also auch im Kino, kann uns auch mit unseren eigenen Ängsten und Blockaden in Bezug auf all diese Themen vertrauter machen. Auch Kampf, Schmerz und Gewalt sind unvermeidliche Teile des (nicht nur) menschlichen Lebens und der menschlichen Psyche, sie gehören dazu und oft genug wüten sie in unseren Projektionen oder in unserem Unbewussten, in das wir sie verbannen, weil wir sie nicht zivilisiert und schön genug finden (Waage lässt grüßen) um sie ans Licht zu lassen.

Leider werden insbesondere in intellektuellen, esoterischen oder auch astrologischen Kreisen Filme des populären Blockbuster-Kinos häufig gerade wegen ihrer Gewaltdarstellungen kritisiert oder als in irgendeinem Sinne “wertlos” betrachtet. Meist geht damit zunächst eine undifferenzierte Wahrnehmung der Gewaltdarstellung einher: da ist jeder Kampf eine immer gleiche Schlägerei und ganze Bilderfolgen werden schlicht als “Geballer” oder “Gemetzel” – abgetan. Darin zeigt sich auch ein mangelndes Verständnis für filmische Darstellung, d.h. für die teilweise enorme Kunstfertigkeit, die in der Produktion solcher Bilder liegt, also auch eine Unkenntnis der Bildersprache der Kunstform Film. Denn wie in der gesamten Kunst der Menschheit – von den ersten Höhlenmalereien über Homer und Shakespeare, die Gemälde eines Hieronymus Bosch oder Francisco de Goya bis zu Picassos Guernica (und diese Aufzählung wirft nur einen eurozentristischen Blick in die abendländische Kunstgeschichte) – war und ist Gewalt ein zentraler Topos, und das Kino hat im Laufe seiner etwa hundertjährigen Geschichte eine außerordentlich differenzierte Bildersprache zur Darstellung dieses Menschheitsthemas entwickelt.

Im Übrigen wird häufig außer Acht gelassen, dass etliche dieser von uns heute so eindeutig als Kunstwerke verstandenen Werke zu ihrer Zeit ebenfalls nichts anderes als “Populärkultur” waren: Shakespeares Dramen waren das Volkstheater ihrer Zeit – “sex and crime” auf elisabethanischen Bühnen, und sein Titus Andronicus oder auch Macbeth nehmen es was exzessive Gewaltdarstellung angeht sogar mit manchem heutigen “Splatter-Movie” auf.

 

Ablehnung und Blockaden der Widder-Energie

Doch die Ablehnung, die dem Blockbuster-Kino so häufig gerade aus dem Bildungs-und “hohe Kunst”-Milieu entgegenschlägt, hat noch ganz andere Gründe. Unsere geistige – und seelische – Kultur ist dort, wo sie ideengeschichtlich auf Humanismus und Aufklärung fußt, von der Qualität des Waage-Prinzips dominiert, das sich Harmonie und Zivilisiertheit, Gerechtigkeit und kultivierten Ausgleich auf die Fahnen schreibt, und sie belegt das Widder-Prinzip der archaischen und direkten Selbstdurchsetzung mit Bewertungen wie egoistisch, unzivilisiert und primitiv.

Ich sehe hier einen sehr deutlichen Zusammenhang mit der Verbreitung von Problemen bei der offenen (also nicht hinter Moraldiskursen verborgenen) Verfolgung eigener Wünsche, der direkten Durchsetzung des eigenen Willens. Für sich selbst einzustehen, klar und direkt “ich will” zu sagen, “nein” zu sagen, sich zu verteidigen, für eigene Ziele wirklich zu kämpfen, fällt einer großen Zahl Menschen schwer, das erlebe ich gerade in meiner Beratungsarbeit sehr häufig.

Kunst – und damit auch das populäre Kino – bietet uns die Möglichkeit mittelbarer Erfahrung und so auch die Gelegenheit einer Begegnung mit der oft so ungeliebten und für manche so beängstigend aggressiven Widder-Energie. Aus der Sicherheit des Kinosessels können wir uns mit den Bildern von Kampf, Gefahr, Wut und Verletzung vertraut machen, und nicht selten sogar über die Identifikation mit den Leinwandgestalten eigene, verleugnete oder verschüttete Kräfte und Gefühle aufspüren und aktivieren

 

Monumentale Kriegergestalten – Begegnungen im Kino:
Troja, Der letzte Samurai, Gladiator

Diese drei Filme, die ich für die Illustration des Widder-Archetyps gewählt habe, zeigen verschiedene Ausprägungen des Widder-Archetypus, die sich astrologisch unterschiedlichen Konstellationen bzw. Horoskopfaktoren zuordnen lassen.

Die erste der Helden-Gestalten aus den genannten Filmen ist schon fast ein Synonym für Zorn und Raserei der Krieger-Kraft geworden – Achilles, eine Gestalt der griechischen Mythologie, überliefert durch Homer und andere antike Erzähler und Geschichtsschreiber. Bis in unsere Zeit erscheint die Figur des Achilles in Kunst und Literatur – ob in Kleists Drama Penthesilea, Christa Wolfs Roman Kassandra oder 2004 in Wolfgang Petersens monumentalem Kinofilm Troja, die sich alle auf Elemente aus Homers Ilias stützen.

All diese Werke bieten eine eigene Interpretation dieser mythischen Figur an, es ist daher wenig sinnvoll, sich davon stören zu lassen, dass manches im Film anders ist, als es bei Homer zu lesen steht – ein ebenso häufiger wie überflüssiger Vorwurf, der in Bezug auf historische Genauigkeit auch dem zweiten und dritten der hier analysierten Filme gemacht wurde. Dabei wird vergessen, dass Spielfilme weder eine Geschichtsstunde ersetzen sollen, noch irgendeine andere Realität abbilden, als die ihrer Macher und Macherinnen.

Gerade durch die Interpretation von Mythos und Geschichte (und oft genug fällt die Differenzierung beider bereits an diesem Punkt schwer) aus einem ganz bestimmten heutigen kulturellen Hintergrund, d.h. mit einer ganz bestimmten Brille, bieten uns Filme Einblick in die kulturellen Vorstellungen unserer Zeit und Kultur und schenken uns zeitgenössische neue Bilder für alte Archetypen. Sie bebildern die in der Welt zu allen Zeiten wirksamen Kräfte aus subjektiver, heutiger Sicht und erschaffen so die zu unserer Gegenwart passende Vergangenheit bzw. modernisierte, “neue” Mythen.

 

© Copyright 2006 Vesna Ivković



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